Die Schweizer Währungshüter heben ihren Leitzins zum dritten Mal in diesem Jahr an. Was ist nach der Rückkehr der Nominalzinsen in positives Territorium bisher geschehen, und was bedeutet die weitere Erhöhung auf 1,0 Prozent? Sechs Fragen und Antworten.
Peter A. Fischer
5 min
Inhaltsverzeichnis
- Wie ist die Rückkehr zu positiven Zinsen bisher verlaufen?
- Was hat die SNB getan?
- Wie hat sich der Wechselkurs entwickelt?
- Was bedeutet ein weiterer Zinsanstieg für Hypothekarschuldner und Mieter?
- Was bedeutet das für die Verzinsung von Bankguthaben?
- Wie sind die weiteren Aussichten?
Wie ist die Rückkehr zu positiven Zinsen bisher verlaufen?
Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat am 22.September die Rückkehr zu einem positiven Leitzins verkündet. Doch damit die Zinsentscheidung wirkt, muss die Geldpolitik auch umgesetzt werden und müssen sich kurzfristige Ausleihungen am Markt entsprechend verteuern. Als Indikator dafür gilt der Saron, der Zinssatz, zu dem sich Banken in der Schweiz über Nacht Geld ausleihen. Der Saron ist anlässlich der Erhöhung des SNB-Leitzinses auf 0,5 Prozent am 22.September von –0,2 auf (zuerst nur) 0,38 Prozent gestiegen. Ab Anfang Oktober hat er sich bei rund 0,45 Prozent eingependelt.
Die Banken, die bei der SNB Girokonten unterhalten, erhalten ihre Guthaben bis zu einer Limite mit dem Leitzins (bisher 0,5, neu 1 Prozent) verzinst; alles was darüber ist, blieb bisher unverzinst und wird neu mit 0,5 Prozent vergütet. Es resultiert also eine abgestufte Verzinsung von Sichtguthaben. Diese Abstufung sorgt dafür, dass die Banken einen Teil ihrer Sichtguthaben untereinander handeln. Die Limite wird berechnet als ein von der SNB periodisch neu bestimmtes Vielfaches (derzeit das 28-Fache) des Mindestreserveerfordernisses einer Geschäftsbank.
Der Saron nähert sich dem Leitzins an – die nominale Zinsdifferenz zu deutschen Staatsanleihen nimmt zu
Entwicklung der Zinsen und Renditen seit einem Jahr
SNB-Leitzins
Saron
Rendite 10-jähriger eidg. Obligationen
Rendite 10-jähriger deutscher Staatsanleihen
Erste Zinserhöhung 16.6.
Zweite Zinserhöhung 22.9.
NZZ / pfi.
Noch stärker als die kurzfristigen Zinsen sind die Zinsen zehnjähriger Staatsanleihen angestiegen. Die eidgenössischen Obligationen rentierten zuletzt mit gut einem Prozent.
Seit der ersten Zinserhöhung hat sich die Zinsdifferenz zum Euro nominal wieder deutlich erhöht. Deutsche Bundesanleihen rentieren derzeit mit 2Prozent. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig viel höheren Inflation in Deutschland ist die gegenwärtige reale Rendite der deutschen Bundesanleihen allerdings wie seit Jahren immer noch negativer als diejenige der eidgenössischen Obligationen.
Was hat die SNB getan?
Damit die Zinsen tatsächlich steigen und die Banken nicht bloss Liquidität bei der SNB parkieren, hat die Nationalbank seit dem Zinsentscheid im September kräftig Liquidität abgeschöpft. Das zeigt sich an den Girokonten, welche sich seit dem 16.September (vor dem Wechsel zu positiven Leitzinsen) um volle 212,2 Milliarden Franken verringert haben. Das geschah nicht primär, indem die SNB Devisen wieder verkaufte, sondern zum grössten Teil, indem sie zinstragende SNB-Bills ausgab und Liquidität über (reverse) Repo-Geschäfte abschöpfte.
Die letzten Daten zu den Bilanzpositionen der SNB sind leider erst für Ende Oktober erhältlich. Im September und im Oktober hat die SNB für 77 Milliarden Franken SNB-Bills ausgegeben und für 66 Milliarden Franken Repo-Geschäfte getätigt. Daraus ergibt sich, dass sie in dieser Zeit vermutlich für gegen 30 Milliarden Franken Devisen verkauft hat.
Die Nationalbank hat kräftig Liquidität abgeschöpft
Veränderung von ausgewählten Bilanzpositionen im September und im Oktober 2022, in Milliarden Franken
Quelle: SNB
NZZ / pfi.
Wie hat sich der Wechselkurs entwickelt?
Vor der Zinserhöhung vom 22. September kostete ein Euro 96 Rappen, vor der Erhöhung im Dezember müssen 99 Rappen bezahlt werden. Ein Dollar hingegen war für 96 Rappen erhältlich, vor dem neusten Zinsentscheid kostete er nur noch 91. Der Franken ist also gegenüber dem Euro nominal schwächer und gegenüber dem Dollar stärker geworden. Wichtiger etwa für den Exportsektor ist jedoch der reale Wert des Frankens. Dieser hat wegen der hierzulande deutlich tieferen Inflation sowohl gegenüber dem Euro-Raum wie gegenüber dem Rest der Welt handelsgewichtet abgenommen. Der Wechselkurs wird nicht zuletzt von der relativen Höhe der Zinsen beeinflusst und definiert die Kosten der Importgüter. Eine Abschwächung importiert also Inflation.
Der Franken hat seit der letzten Zinsentscheidung real an Wert verloren
Indexiert, 2000 = 100
Welt real
Euro-Raum real
Die Zunahme entspricht einem um das Inflationsdifferenzial bereinigten Wertzuwachs des Frankens.
Quelle: SNB-Datenportal
NZZ / pfi.
Zusammen mit den Kursveränderungen bestimmt der Wechselkurs auch den Wert der Devisenanlagen der SNB. Je stärker der Franken ist, umso weniger wert sind die Devisenanlagen und umso höher ist der Verlust, den die SNB verbuchen muss. Abgerechnet wird Ende Jahr. Per Ende drittes Quartal verbuchte die SNB einen Rekordverlust von 142,4 Milliarden Franken.
Was bedeutet ein weiterer Zinsanstieg für Hypothekarschuldner und Mieter?
Die Verzinsung variabler Hypotheken richtet sich heutzutage in der Schweiz nach dem Saron (und nicht mehr nach dem Libor). Der fällige Zins wird meist rückwirkend aus dem Saron-Zinssatz berechnet. Steigt der Leitzins und erhöht die Notenbank damit den Saron, steigen mit Verzögerung auch die auf den variablen Hypotheken fällig werdenden Zinsen. In der Folge wird mit noch mehr Verzögerung auch der staatlich definierte Referenzzins angepasst. Steigt dieser, so erlaubt das den Vermietern, laufende Mietzinse zu erhöhen. Von den längerfristigen Erwartungen hängt hingegen ab, wie stark sich eine Leitzinserhöhung unmittelbar auf die Kosten neuer langfristiger Fixhypotheken auswirkt. Diese sind bereits gestiegen.
Was bedeutet das für die Verzinsung von Bankguthaben?
Banken erwirtschaften ihre Erträge über Gebühren für die Verwaltung von Anlagen, aber auch über das Zinsgeschäft und die Fristentransformation. Sie erhalten Zinsen für bei der SNB vorgehaltene Liquidität und für vergebene Kredite und bezahlen im Gegenzug Zinsen auf ihnen gewährten Einlagen. Zinserhöhungen sollten sich auf beides auswirken, die Kosten von Krediten und die Verzinsung von Bankguthaben. Da die Finanzinstitute aber nicht gleich auf ihren gesamten Ausleihungen höhere Zinsen erhalten, zögern sie auch damit, Bankguthaben besser zu verzinsen. Zwar dürften mittlerweile Negativzinsen der Vergangenheit angehören. Die Sparzinsen werden jedoch je nach Intensität des Wettbewerbs unter den Banken nur mit Verzögerung angepasst und dürften noch eine Weile geringer bleiben als die Inflation.
Wie sind die weiteren Aussichten?
Das Ziel der SNB ist Preisstabilität, definiert als eine positive nominale Teuerung von unter 2Prozent. Die Zinsentscheide der SNB richten sich an ihrer Inflationsprognose aus. Im September hat diese für 2023 wegen der Basiseffekte (die Energie wird kaum immer nur teurer, die Lieferkettenprobleme nehmen ab) einen allmählichen Rückgang der Inflation auf 1,7 Prozent im vierten Quartal prognostiziert. Sie ging aber davon aus, dass die Inflation wegen der Zweitrundeneffekte (Überwälzung höherer Kosten auf Preise, höhere Löhne) ab Mitte 2024 wieder steigen dürfte.
Die neue bedingte Inflationsprognose zeigt nun, dass die SNB inzwischen mit einem höheren Preisdruck rechnet als noch im September. Neu geht sie davon aus, dass die Teuerung selbst mit dem erhöhten Leitzins von 1,0 Prozent Ende 2023 erst auf 2,0 Prozent fallen dürfte und danach wieder steigen könnte. Und dies obwohl sie mit einer deutlichen Abkühlung des Wirtschaftsgangs rechnen und der Schweiz für 2023 ein BIP-Wachstum von bloss 0,5 Prozent prognostizieren. Europa steuert in eine Stagflation, bei der trotz stagnierendem oder rückläufigem Wirtschaftswachstum die Preise steigen.
Trotz dem höheren Zins soll die Inflation noch etwas länger erhöht bleiben
Bedingte Inflationsprognose unter Annahme eines Negativzinssatzes von 0,75 Prozent bis März 2022; –0,25 Prozent ab Juni, 0,5 Prozent ab September und 1,0 ab Dezember
Dezember 2022
September 2022
Juni 2022
März 2022
Dezember 2021
September 2021
Juni 2021
März 2021
Prognose (ab Q3 2022)
Quelle: Schweizerische Nationalbank (SNB)
NZZ / pfi.
Die Zinswende ist also wohl noch keineswegs am Ende. Die Währungshüter der SNB haben nicht nur den Leitzins deutlich angehoben. Sie schliessen auch weitere Erhöhungen explizit nicht aus. Sollte der Teuerungsdruck aus dem Ausland mit der für ganz Europa erwarteten Rezession nicht überraschend deutlich nachlassen, ist von der nächsten geldpolitischen Lagebeurteilung im März eine weitere Zinserhöhung zu erwarten - und selbst diese dürfte nicht die letzte sein.
Die westlichen Zentralbanken folgen der US-Zinswende im Gleichschritt
Leitzinsen der wichtigsten Zentralbanken
Beginn Finanzkrise
Ausbruch Griechenland-Krise
Südeuropäische Bankenkrise
Amtsantritt Donald Trump
Die Corona-Pandemie beginnt.
Russland überfällt die Ukraine.
Quelle: Nationale Zentralbanken
NZZ / pfi.
Wie das SNB-Observatory in seinem neusten Bericht festhält, besteht für die Zukunft allerdings bis zu einem gewissen Grad eine Wahlmöglichkeit. Die SNB kann auch die Zinsen etwas weniger stark anheben und dafür mehr Devisen verkaufen, um den Franken zu stärken und die importierte Inflation zu dämpfen. Der Präsident des Direktoriums, Thomas Jordan, bestätigte am Donnerstag explizit, dass die SNB in den vergangenen Monaten Devisen verkauft hat und dies auch in Zukunft tun will, «wenn dies geldpolitisch angezeigt ist». Er machte aber klar, dass für die SNB der Leitzins das primäre Instrument ist.
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